Für Viktor Orbán ist die ungarische Politik bereits langweilig", hört man immer mehr in intellektuellen Kreisen in Budapest. Nachdem Ungarns starker Mann mit 49,6 Prozent der abgegebenen Stimmen einen spektakulären Sieg bei der ungarischen Parlamentswahl vor einem Monat eingefahren hat, kann er sich mühelos auf die nächste vierjährige Legislaturperiode vorbereiten. Dennoch bleibt der ungarische Ministerpräsident im Wahlkampfmodus. Sein nächstes Ziel hat er bereits im Visier. Er rüstet sich für die kommende Europawahl und will dadurch das Gesicht der Europäischen Union radikal verändern.
Ohne Widerstand
Viktor Orbáns erneut errungene Zweidrittelmehrheit lässt ihn zu Hause praktisch ohne politischen Widerstand regieren, de facto kann er je nach Lust und Laune seinen vor vier Jahren im rumänischen Baile Tusnad angekündigten Plan, ein "illiberales" Ungarn zu etablieren, vollziehen. Zwar gehen zehntausende Oppositionelle gegen den Ministerpräsidenten und sein Regime auf die Straße, dennoch kann sich Orbán auf die Unterstützung der Hälfte der ungarischen Wähler berufen.
Nach der Ausschaltung der Gewaltenteilung, der strikten Regulierung der Medien und der Zerstörung der Oppositionskreise sind NGOs (s. Bericht auf Seite 4 über den Abzug von György Soros' Open-Society-Stiftung aus Budapest) und die unabhängige Justiz der letzte Dorn im Auge Orbáns. Mangels einer organisierten Opposition könnten diese bald ebenso fallen. Jedoch ist dies dem machthungrigen Regierungschef nicht genug.
Ungarns Premier will nach der Transformierung seines Landes die Europäische Union ebenso "auf Linie" bringen. Dazu glaubt er, mit Migration die "Wunderwaffe" gefunden zu haben. "Im kommenden Jahr wird die Europawahl nichts anderes sein als ein riesiges Referendum über Migration", erläuterte Orbán unlängst in einem Radiointerview. Damit hat er den Startschuss für die Kampagne der Europawahl 2019 gegeben und sich als Anführer einer EU-weiten migrationskritischen Bewegung positioniert. Dabei könnte er kaum bessere Karten haben.
Gegen Vereinigte EU-Staaten
In einer Krisenzeit, wo sich die EU auf den schmerzhaften Brexit vorbereitet, eine politisch geschwächte Kanzlerin Deutschland und ein den sozialen Rückhalt rasant verlierender Präsident Frankreich anführen, steht Orbán politisch gestärkt auf der EU-Bühne. In den vergangenen Jahren ist er zum größten Herausforderer des EU-Führungsduos Merkel-Macron und deren geplanter EU-Reform geworden. Orbán lehnt strikt die Idee der Vertiefung der europäischen Integration ab, die er mit dem Konzept der "Vereinigten Staaten von Europa" gleichstellt. Laut ihm solle Europa "auf die Allianz von souveränen Staaten vertrauen". Eine Forderung wie aus den Büchern der Rechtspopulisten.
Zwar ist Orbáns Fidesz Mitglied der Europäischen Volkspartei, mit seiner restriktiven Einwanderungspolitik ist Ungarns Regierungschef dennoch zu einer Ikone der europäischen Rechtsradikalen und Migrationsgegner geworden. Die Sprache und die Ideologien von Fidesz weisen immer mehr Ähnlichkeiten mit jenen der EU-skeptischen EP-Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) auf. Gerüchte über einen Fidesz-Wechsel ins EU-kritische Lager könnten sich nach der EU-Wahl bewahrheiten.
Unter Lobeshymnen von Marine Le Pen, Nigel Farage und Matteo Salvini wechseln sich derzeit Politiker der rechtspopulistischen Szene aus ganz Europa in Ungarn ab. Neben Geert Wilders und Giorgia Meloni haben – mit der Ausnahme von Vizekanzler Heinz-Christian Strache – alle FPÖ-Regierungsmitglieder in den vergangenen Monaten die ungarische Hauptstadt besucht, um demonstrativ Bilder mit Orbán machen zu lassen. Ein Höhepunkt der Visiten von Rechtspopulisten wird der Auftritt des umstrittenen Alt-Right-Aktivisten Milo Yiannopoulos in Budapest sein, der auf Einladung der Orbán-Regierung Ende Mai eine Rede halten soll.
Rebellion gegen Europa
Das Thema seines Diskurses passt vollkommen ins Orbán'sche Drehbuch: "Ungarn und Polen als Modelle des Widerstands gegen Europa und einige Diktate der EU".
(„Der Standard”, 16.5.2018, by Balazs Csekö)
Photo: Reuters/Kacper Pempel