Der Coup ist perfekt. Mit der Kapitulation des Oligarchen Lajos Simicska ist eine der letzten Hürden auf dem Weg zur Errichtung eines illiberalen Regimes in Ungarn gefallen. Nach jahrelanger Feindschaft soll der einstige Freund Viktor Orbáns nach einem kräftigen Ultimatum des Premiers sein Wirtschaftsimperium von 60 Firmen an den regierungsnahen Unternehmer Zsolt Nyerges verkauft haben.
Doch damit ist der Endadressat der Handelsbewegung noch nicht erreicht. Innerhalb weniger Monate könnte das Firmenkonglomerat in die Hände von Lörinc Mészáros fallen, Orbáns engstem Vertrauten.
„Orbán baut die Demokratie ab und errichtet eine despotische Diktatur“, sagte Simicska 2017. Eine späte Erkenntnis, wie sich auch für ihn vor Kurzem herausgestellt hat. Der umstrittener Unternehmer und Medienzar, der jahrzehntelang in enger Verbindung an der Seite Orbáns am jetzigen rechtsnationalen Regime mitgebastelt hatte, sah seine Beziehung zum Premier nach dem Wahlsieg des Fidesz 2014 wegen dessen autoritärer Züge verschlechtert.
Mithilfe seiner Medien (Zeitungen, Magazine, Radio, TV-Sender) setzte Simicska seit dem öffentlichen Bruch mit Orbán 2015 auf Regierungskritik. Bittere Momente hätte er der Exekutive auch in Zukunft bereiten können. Nun aber stehen Orbán Simicskas Interessen nicht mehr im Weg.
Kritik im Keim ersticken
Die geringste Möglichkeit von Kritik soll schon im Keim erstickt werden. Das ist die Kernbotschaft der Übernahme des Simicska-Imperiums durch den Orbán-Vertrauten. Die renommierte Zeitung „Magyar Nemzet“, das Lánchíd Rádió und das Wochenmagazin „Heti Válasz“ wurden bereits nach der Parlamentswahl im April eingestellt. Dem regierungskritischen Nachrichtensender HírTV könnte mit dem Rückzug des Geschäftsmannes ein ähnliches Schicksal bevorstehen. Inzwischen lautet die wichtigste Frage: Was passiert mit Index.hu, einem der beliebtesten und einflussreichsten Nachrichtenportale mit über einer Million Lesern pro Tag?
Bruch mit liberalen Werten
Heute beschränkt sich die Kritik an der Regierung nur noch auf wenige gedruckte Publikationen und Internetseiten des linksliberalen Lagers. Doch dürfte ein Teil davon – wie das „sozialdemokratische Blatt“ „Népszava“ – bereits aus der Fidesz-Zentrale gesteuert werden. Keine positive Perspektive für unabhängigen Journalismus in Ungarn also.
Neben der rund um die Uhr verbreiteten Regierungspropaganda ist das Zurückdrängen einer kritischen Öffentlichkeit ein wichtiges Element des Orbánismus, doch nicht das einzige. Ungarns „illiberale Demokratie“ ist im Grunde eine Fake-Demokratie. Diese zeichnet sich aus durch eine nicht existierende Gewaltenteilung; die im Interesse der Regierungspartei agierenden staatlichen Strukturen (u. a. Polizei, Geheimdienste, Steuerbehörde, Botschaften); eine nur noch als Kulisse dienende parlamentarische Opposition; „freie, aber nicht faire“ Wahlen (OSZE); eine Menschenrechtsaktivisten und NGOs kriminalisierende Legislative („Stopp-Soros-Paket“); und die vor „denen da oben“ in Angst lebende Bevölkerung.
Der immer tiefer verankerte Illiberalismus Orbáns ist ein klarer Bruch mit den liberalen Werten des postkommunistischen Zeitalters. Er führt das Land in vergangen geglaubte Zeiten zurück. Der ungarische Staat hat heute viel mehr mit Fake-Demokratien wie Aserbaidschan oder Singapur gemein als mit den in den Kopenhagener Kriterien festgelegten Voraussetzungen für einen EU-Beitritt.
("Die Presse", 12.07.2018, by Balazs Csekö)
Photo: Túry Gergely/HVG