"Unabwählbar?", fragte das ungarische Wirtschaftsmagazin „HVG“ unlängst auf seiner Titelseite. Die Frage bezog sich auf Premier Viktor Orbán, der da als ein gealterter Herrscher im Jahr 2047 erscheint. Der Verdacht, dass die Orbán-Regierung nicht mehr mittels Wahlen aus dem Amt zu entfernen ist, wird immer häufiger auch unter Bürgern laut.
Zwar ist die Lage der Opposition äußerst prekär, doch könnte sie die Regierungspartei Fidesz bei den Parlamentswahlen im kommenden Frühling in Bedrängnis bringen. Dafür müssten aber die Oppositionskräfte über ihren eigenen Schatten springen.
Die letzte Umfrage des Instituts Závecz Research verspricht derzeit kaum Positives für Ungarns Opposition. Bei den sicheren Wählern würde Orbáns Fidesz mit 49 Prozent der Stimmen die Parlamentswahl haushoch gewinnen, die rechtsradikale Jobbik käme mit 18 Prozent weit abgeschlagen auf Platz zwei. Das linksliberale Lager (MSZP, DK, LMP, Együtt, Momentum) ist weitgehend zersplittert, vereint würde es auf 30 Prozent kommen. Die Fragmentierung der Opposition ist dabei auch noch mit einem den Sieger begünstigenden Wahlrecht gepaart.
Verzerrtes Wahlresultat
Neben 93 über nationale Listen mittels Verhältniswahl verteilten Sitzen werden 106 Abgeordnete in Einzelwahlkreisen nach dem „Winner takes all“-Prinzip gewählt. Obwohl Fidesz beim Wahlsieg 2014 nur 44,9 Prozent der Stimmen erreichte, garantierte der Partei das von ihr 2011 im Alleingang verabschiedete Wahlrecht 91 Prozent der Wahlkreise und 67 Prozent der Parlamentsmandate. Ähnlich verzerrt könnte das Wahlresultat auch diesmal ausfallen.
Trotz der aussichtsreichen Lage kann sich Fidesz des Sieges nicht gewiss sein. Eine „taktische Koalition“ könnte Orbáns Partei gefährlich werden. Diese könnte zustandekommen, wenn alle regierungskritischen Parteien die ideologischen und persönlichen Differenzen hintanstellen und in den Einzelwahlkreisen gemeinsame Kandidaten gegen die von Fidesz aufstellen. Tabus müssten fallen, damit eine Zusammenarbeit zwischen den Oppositionskräften möglich wird. Diese soll das gesamte politische Spektrum des Landes umspannen, von links bis rechts, Jobbik inklusive.
Elementare Aufgaben
Die mit Antisemitismus und Rassismus verbundene Vergangenheit von Jobbik darf nicht vergessen werden. Dennoch kann eine Wahlkoalition ohne diese Partei den erneuten Fidesz-Sieg nicht verhindern. Das Ende des Orbán-Regimes könnte nur eingeleitet werden, wenn die gesamte Opposition als ein Wahlblock antritt.
Im Fall eines Wahlsiegs sollte sich die Regierungsarbeit der „taktischen Koalition“ auf die notwendigsten Schritte konzentrieren. Neben der Änderung des Wahlsystems soll der Abbau des 2011 ausschließlich von Fidesz verabschiedeten Grundgesetzes beginnen. Die verfassungsmäßige Ordnung wäre auf Grundlage der Verfassung von 1989 wiederherzustellen. Nach Umsetzung elementarster Aufgaben sollte es Neuwahlen geben, um klare und stabile Parlamentsverhältnisse zu schaffen.
Ungarns derzeitiges Wahlverfahren favorisiert die Regierungspartei deutlich und macht eine Machtübernahme durch eine zersplitterte Opposition de facto unmöglich. Orbán kann noch jahrelang unbehelligt weiterregieren, wenn seine politischen Gegner ihre Differenzen nicht überwinden. Treten die Regierungskritiker aber als Wahlbündnis bei der kommenden Parlamentswahl an, könnten sie das Orbán-Regime an der Achillesferse erwischen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2017)
Foto: MTI/Miniszterelnöki Sajtóiroda/Balázs Szecsődi