Lasst die Katalanen doch wählen!

Lasst die Katalanen doch wählen!
Der Konflikt zwischen Katalonien und Madrid spitzt sich zu. Ausweg wäre ein friedlicher Urnengang am 1. Oktober.

 

Wollen Sie, dass Katalonien zu einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wird?“, lautet die Frage, die vom katalanischen Regionalparlament im Juni 2017 angenommen wurde und mit der ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens für den 1. Oktober angesetzt wurde.

Damit sind 5,4 Millionen katalanische Wähler offiziell aufgerufen, an der rechtlich bindenden Abstimmung am kommenden Sonntag teilzunehmen. Ob der Urnengang stattfindet, ist jedoch ungewiss. Die Zentralregierung in Madrid setzt alles auf eine Karte, um das Votum zu verhindern. Dies völlig gegen geltendes Völkerrecht.

„Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung”, lautet Art.1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Laut diesem Grundrecht des Völkerrechts sollte es ohne Hindernisse möglich sein, dass das von der katalanischen Legislative beschlossene Unabhängigkeitsvotum über die Bühne geht. Dennoch wird das Recht auf Selbstbestimmung der Katalanen von Madrid weitgehend ignoriert und systematisch bekämpft.

Erinnerung an Franco-Ära

Das repressive Vorgehen der spanischen Polizei der vergangenen Wochen erinnert viele Katalanen an die dunkelste Periode der Franco-Diktatur. Im Zusammenhang mit dem angekündigten Referendum sind in Katalonien Wahlurnen entfernt, Wahlzettel konfisziert, Wahlplakate beschlagnahmt, Wähler eingeschüchtert, Politiker und Beamte verhaftet, Hausdurchsuchungen durchgeführt, politische Veranstaltungen verboten und Webseiten blockiert worden.

Die Meinungs- und Informationsfreiheit wird auch dadurch eingedämmt, dass den Medien – sowohl öffentlich-rechtlichen als auch privaten – jede Art von Werbung über das geplante Referendum verboten ist. Szenen, die einen demokratischen Dialog unmöglich machen und die viel eher an Erdoğans Türkei als an einen EU-Staat erinnern.

Quebec 1995, Schottland 2014

Die immer autoritärer auftretende spanische Exekutive hilft der von Premier Mariano Rajoy angeführten Zentralregierung kaum. Laut neuesten Umfragen unterstützt die Mehrheit der Katalanen das Abhalten der Abstimmung, auch wenn die Präferenzen bezüglich der Sezessionsbestrebungen in Katalonien je nach Umfrageinstitut variieren.

Dennoch ergab die von der Internetzeitung El Español durchgeführte Meinungsumfrage erstmals nach Jahren eine absolute Mehrheit für die Unabhängigkeit. Die Übernahme der Kontrolle über die katalanische Regionalpolizei durch Madrid am vergangenen Wochenende hat in Barcelona weder Stimmen für die Zentralregierung gebracht, noch hat sie zur Deeskalation der Empörung beigetragen.

Zuletzt wiederholte Premier Rajoy in Mallorca, dass das Referendum nicht stattfinden werde. Sowohl Großbritannien mit dem Schottland-Referendum 2014 als auch Kanada mit dem Québec-Referendum 1995 gingen wesentlich geschickter mit ähnlichen Sezessionsbewegungen um. Statt mit Repressionsmaßnahmen gegen Minderheiten vorzugehen, ermöglichten beide Regierungen das Abhalten der Unabhängigkeitsreferenden.

Die Rajoy-Regierung sollte sich diese Beispiele zu Herzen nehmen, demokratische Prozesse fördern und den Dialog mit Barcelona suchen. Darüber hinaus sollte sie bei den Katalanen Überzeugungsarbeit leisten, warum Katalonien weiterhin ein Teil Spaniens bleiben sollte.

("Die Presse", 27.09.2017)

Foto: Reuters