"Die Schatzsucher sind die Hunnen von heute"

Der illegale Handel mit antiken Fundstücken floriert in Bulgarien. Trotz vieler Schwierigkeiten kämpfen dutzende Archäologen gegen diesen Ausverkauf der Geschichte

 

Der Weg ist löchrig und holprig, die Sonne steht tief. Auf beiden Seiten der Straße ragen riesige Eichenbäume in die Höhe, die mit ihren Kronen eine märchenhafte Allee bilden. Die Strecke führt über kleine Ortschaften, wo nur ganz wenige wohnen. Auf einem Hügel stehen Häuser mit bröckelnden Fassaden, kleine Kinder tummeln sich auf der Straße. Das mittelalterliche Gefühl wird erst dann komplett, als ein Esel mit einem hölzernen Wagen am Horizont auftaucht. "In zweihundert Metern links rein", sagt Dobri und richtet seinen Zeigefinger auf die Waldgrenze.

Das Ziel ist nunmehr zu Fuß zu erreichen. Mitten im Wald. Unweit der rumänisch-bulgarischen Grenze. In der Nachbarschaft der Ruinen der byzantinischen Festung Zaldapa. Zwischen Pflanzen und herabgefallenen Ästen tauchen plötzlich aus dem Nichts größere Gräben auf. Bis zu zwei Meter tief sind sie. Kleinere Sandhügel ragen rund um die Löcher empor. "Unlängst wurde hier gegraben", konstatiert Dobri und hebt einige zurückgelassene Keramikteile vom Boden auf. Diese stammen vermutlich aus dem vierten oder fünften Jahrhundert. Daneben menschliche Knochenreste. Die Plünderung war allem Anschein nach erfolgreich.

Immense archäologische Reserven

Dobri Dobrev, Archäologe in der nordöstlichen Stadt Dobritsch, beschäftigt sich seit Jahren mit Raubgrabungen. Diese gehören zum Alltag in Bulgarien. Altertumsforschern sind zahllose Fälle bekannt, in denen jahrtausendealte Gegenstände gesetzwidrig aus dem Boden geholt wurden. "Es ist eine Katastrophe für das Land und die Gesellschaft, wie mit dem kulturellen Reichtum in Bulgarien umgegangen wird", erklärt er.

Seit 1851, als einem Hünengrab nahe der zentralbulgarischen Ortschaft Rozovets ein thrakischer Marmorblock entnommen wurde, wird in Bulgarien gegraben, geplündert und das Erbeutete illegal vermarktet. Da die Tradition der Grabbeigaben auf bulgarischem Territorium bereits vor Jahrtausenden praktiziert wurde, sind die entsprechenden Reserven immens. Griechen, Makedonier, Römer, Byzantiner, Bulgaren und Thraker haben auf dem Gebiet des heutigen Bulgariens ihre Schätze hinterlassen. Die Artefakte stammen teilweise aus dem fünften Jahrtausend v. Chr. Unzählige Tassen, Gefäße, Münzen, Helme und Amphoren liegen in weiten Teilen des Landes noch immer quasi unter freiem Himmel.

Metalldetektoren im Einsatz

Der illegale Handel mit archäologischen Funden und Kunstobjekten blüht in Bulgarien. Schatzsucher, die als "schwarze Archäologen" bezeichnet werden, sind landesweit aktiv. Tausende sollen an Raubgrabungen teilnehmen. Zwar gelten strikte Gesetze gegen illegalen Antiquitätenhandel in Bulgarien, dennoch werden diese kaum vollzogen. So steht Plünderern selten etwas im Weg, und ihr "Hobby" können sie praktisch ohne rechtliche Folgen ausüben. Die Aktivitäten der Diebe werden von der neuesten Technologie gefördert. Die Plünderungen laufen mithilfe von Bodenradar, Baggern, Lastwagen und Traktoren noch rasanter und effizienter.

Vor kurzem hat ein Video des Regionalhistorischen Museums in Dobritsch für landesweite Aufmerksamkeit gesorgt. In der Aufnahme ist zu sehen, wie ein Mann mit einem Metalldetektor in seiner Hand über einen Acker geht und nach Antiquitäten sucht. Dort, wo die Maschine piepst, bleibt er stehen und fängt an zu graben. Nicht einmal die filmende Kamera kann ihn davon abschrecken, mit seiner illegalen Tätigkeit aufzuhören. Sein Risiko liegt fast bei null. Dem Richtschwert von Justitia ist er kaum unterlegen. In Bulgarien haben sich Schatzsucher vor den Behörden wenig zu fürchten.

Auch wenn man Plünderer bei ihrer illegalen Tätigkeit erwischt, werden die Ermittlungen meistens bereits in der ersten Phase eingestellt. "Es gibt keine einzige Person, die bis jetzt wegen Antikenhehlerei zu einer Haftstrafe verurteilt worden wäre", beklagt Kostadin Kostadinov, Direktor des Regionalhistorischen Museums in Dobritsch.

Initiative für ein Verbot der Metalldetektoren

Um den Raubgrabungen ein Ende zu setzen, brachte Kostadinov unlängst einen Vorschlag ins Parlament. Laut diesem soll künftig nur noch Beamten des öffentlichen Dienstes die Verwendung von Metalldetektoren erlaubt sein. Die private Nutzung der Apparate soll – ähnlich wie bei Waffen – nur mit Genehmigung möglich sein. Andernfalls drohe dem Land ein Verlust geschichtlicher Zeugnisse. "Die Schatzsucher sind die Hunnen von heute. Sie zerstören und löschen jede Art von Spur des kulturellen und historischen Erbes und der Anwesenheit alter Zivilisationen."

Eine Antwort der Legislative auf seinen Vorschlag erhielt Kostadinov nicht, jedoch erreichten ihn über Social Media zahlreiche Gewalt- und Morddrohungen von illegalen Archäologen. Damit müsse man leben, so Kostadinov. Trotz Anfeindungen und Einschüchterungsversuchen wolle er den Kampf gegen Plünderer weiterführen.

Verband der Schatzsucher

Die Schatzsucher machen keinen Hehl aus ihren gesetzlich verbotenen Aktivitäten. Teilweise wird die Vorgehensweise sogar öffentlich abgesprochen und koordiniert. Zu diesem Zweck wurde die Bulgarian National Metal Detecting Federation, ein Sammelbecken von Schatzsuchern, gegründet. Die Gruppe gilt als Forum und Interessenvertretung von über tausend Plünderern landesweit.

Anfang September versammelte sich der Verband in Gabrowo zu seinem bereits VIII. Nationalkongress. Dabei hatten die Organisatoren nichts verheimlicht. Die Details zum Treffen wurden auf der Website und in der Facebook-Gruppe des Verbands bekanntgegeben und gleichzeitig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Beide Plattformen dienen als Diskussionsforen für Schatzsucher, die den Informationsaustausch unter den Mitgliedern fördern sollen.

Langjährige Handelsstrukturen

Die günstigen Rahmenbedingungen für gesetzwidrigen Antiquitätenhandel bestehen in Bulgarien seit längerer Zeit. Früher, während des Sozialismus, ist das Geschäft unter staatlicher Protektion gelaufen. "Nach der Wende wurden die Strukturen privatisiert", erklärt Samuel Hardy, Experte für illegalen Antiquitätenhandel an der Amerikanischen Universität Rom. Die Kapazitäten der bulgarischen Polizei reichten nicht aus, um dem illegalen Austausch von Antiquitäten entgegenzuwirken. Hinzu komme, dass im Land die organisierte Kriminalität weit verbreitet sei.

Meistens zählen die Schatzsucher nicht zu den Hauptprofiteuren des illegalen Antiquitätenhandels, weil sie an unterster Stelle der Handelshierarchie liegen. "Im Normalfall erhalten Plünderer ein bis zwei Prozent des Marktwerts der illegal erworbenen Kunstgegenstände", erläutert Hardy. Dennoch ist Raubgrabung für viele von ihnen ein lukrativer Nebenverdienst, auch wenn man nur ein paar Lew daran verdienen kann. In weiten Teilen des Landes leben Menschen von umgerechnet 200 bis 300 Euro im Monat.

Händler und Vermittler, durch welche die Antiquitäten in der Regel an lokale Sammler oder auf den Regionalmarkt gelangen, dürfen auf einen wesentlich größeren Gewinn hoffen. Noch beträchtlicher wird der Profit, wenn die Lieferung ins Ausland geht. Davon profitieren hauptsächlich Netzwerke der organisierten Kriminalität. In den meisten Fällen sind diese dafür verantwortlich, dass Artefakte vom Regionalmarkt nach Westeuropa oder in die USA fließen.

Auftragsdiebstahl

Eine gängige Praxis im Antiquitätenhandel ist der Auftragsdiebstahl. Wenn ein Sammler ein bestimmtes Objekt haben will, kontaktiert er den Händler, der sich dann mit dem Dieb in Verbindung setzt. Es bestehen keine nennenswerten Hürden, was die Bestellung von Kunstgütern betrifft. Es ist nicht notwendig, dafür ins Darknet abzutauchen. Aufträge werden oft in Form von Bildern per Skype oder Whatsapp abgewickelt. Diese können dann relativ rasch geliefert werden. Erwünschte Objekte aus Bulgarien sind oft innerhalb von einem Monat nach dem Auftrag in Privatkollektionen in New York, London oder Berlin aufzufinden.

Professionelle Archäologen mit an Bord

Offizielle Altertumsforscher fehlen auch nicht am Schwarzmarkt. Laut Boyan Dumanov, Institutsleiter für Archäologie an der Neuen Bulgarischen Universität, sind fünfzehn bis zwanzig Prozent der professionellen Archäologen "so oder so" in den schwarzen Antiquitätenhandel involviert. Im Kampf gegen diese Machenschaften ist der bulgarischen Polizei vor kurzem ein Erfolg gelungen. Im Rahmen diverser Razzien wurden illegale und verborgene Kollektionen gefunden. Wegen der Beteiligung an illegalem Antiquitätenhandel sind danach verschiedene Archäologen aus Museen in Russe, Widin und Chaskowo entlassen worden.

Der Profit, den die Antikenhehlerei jährlich in Bulgarien generiert, bleibt völlig unbekannt. Konkrete Zahlen dazu gibt es nicht, die Schätzungen variieren erheblich. Einige taxieren das Handelsvolumen auf ein paar Millionen Euro, andere wiederum halten das illegale Antiquitätengeschäft für wesentlich lukrativer. "Der Profit in dieser Branche ist nur mit dem der Prostitution und des Waffenhandels vergleichbar", schätzt Dumanov. Tatsache ist, dass man für bestimmte Münzen am Schwarzmarkt bis zu 2000 Euro bezahlt.

Das Land der Mafia

"Oft handelt es sich hier um die gleichen Gruppen, die auch Geschäfte mit Waffen, Drogen und Prostitution betreiben", berichtet Rusland Trad über die Netzwerke im Bereich der Antikenhehlerei. Für den freien Journalisten ist das Thema eine Herzensangelegenheit, jedoch kann er seine Recherchen nicht immer durchführen. Ähnlich wie bei den Archäologen gestaltet sich die Aufklärungsarbeit bulgarischer Journalisten zum Thema des illegalen Marktes oft schwierig. Entweder geraten sie unter heftigen Druck seitens der Behörden oder Einzelpersonen, oder sie werden von der Polizei befragt. Wie heißt es in einem bekannten bulgarischen Sprichwort: "Jedes Land hat eine Mafia, aber in Bulgarien hat die Mafia ein Land."

Tatsächlich sind prominente Gesichter der organisierten Kriminalität als führende Antiquitätensammler in Bulgarien bekannt. Laut den von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichten Geheimdepeschen der US-Botschaft in Sofia gehört zu jenen der "berühmt-berüchtigte Gangster" Vasil Bozhkov. Der unter dem Spitznamen "Schädel" bekannte Kasino- und Wettbürobetreiber soll über die größte Antiquitätensammlung im Land verfügen. Abgesehen von Gegenständen aus der thrakischen, römischen und griechischen Zeiten sollen ihm zahlreiche Artefakte aus dem Nahen Osten gehören. Warum er für die Justiz weiterhin unberührbar bleibt? Botschaftsdepeschen zufolge soll er enge Kontakte zu Regierungsvertretern pflegen.

Paradigmenwechsel soll helfen

"Solange es eine Nachfrage gibt, wird es auch Plünderungen und Diebstähle geben", kritisiert Hardy. Eine Lösung solle viel mehr beim Markt ansetzen. Ein Paradigmenwechsel sei erforderlich. Ethische Käufer seien gefragt. Nur die Kombination von wirksamen Regelungen, ethischem Handel und ernsthafter Kontrolle könne zur Verbesserung der Lage führen. In diesem Fall könnten auch Plünderer ihre Kunstgegenstände nicht mehr vermarkten. Die Lage am illegalen Antiquitätenmarkt ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Hardy gibt sich optimistisch: "Wir verlieren zwar ein Teil unserer Geschichte, aber es gibt weiterhin sehr viel Material dort draußen, woraus wir lernen können." (DER STANDARD, 18.09.2016)

(Foto: Balazs Csekö)

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