Jobbik-Parteichef Gábor Vona glaubt, dass sich Papst Franziskus bei der Beurteilung der Flüchtlingsfrage irrt und dass Wladimir Putin ein guter Führer ist. Für den Islam hegt der Chef der drittstärksten ungarischen Partei viel Bewunderung und findet, dass christliche Kirchen in Europa viel vom Islam lernen können.
STANDARD: Herr Vona, wie stellen Sie sich die EU in zehn Jahren vor?
Vona: Laut jetzigem Stand ist alles möglich. Es kann sein, dass aus einer Union mehrere werden. Ich halte es für kein schlechtes Konzept, wenn die mittel- und osteuropäischen Staaten in zehn bis zwanzig Jahren eine mittelosteuropäische Union schaffen würden.
STANDARD: Jahrelang plädierte Jobbik für einen EU-Austritt Ungarns, nach dem Brexit nicht mehr. Warum dieser Gesinnungswandel?
Vona: Das ist unabhängig vom Brexit: Trotz aller Krisen wandelt sich die Europäische Union. Es wäre keine glückliche Entscheidung, die Gemeinschaft dann zu verlassen, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie sich in die Richtung bewegt, die wir auch für akzeptabel halten.
STANDARD: Würden Sie ein Referendum über den EU-Austritt gutheißen?
Vona: Ja, weil Ungarn seit zwölf Jahren Mitglied der EU ist. Wozu die Ungarn damals Ja gesagt haben, hat sich grundsätzlich geändert. Bezüglich der EU war die ungarische Gesellschaft naiv und idealistisch.
STANDARD: Eine große Herausforderung der EU ist die Flüchtlingskrise. Wie sehen Sie die Ereignisse der vergangenen eineinhalb Jahre?
Vona: Die Flüchtlingskrise hat ihre politischen, kriegerischen, wirtschaftlichen Gründe, es gibt jedoch einen Aspekt, über den in Deutschland und Europa auf heuchlerische Art nicht wirklich gesprochen wird. Nämlich dass die Wirtschaften Westeuropas und Deutschlands auf Migranten bauen. Sie brauchen billige Arbeitskraft, damit sie ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Welt bewahren können. Als wäre das ein organisierter Versuch von Arbeitskraftakquise. Nur ist dieser Versuch komplett schiefgegangen.
STANDARD: Jobbik definiert sich als eine christliche Partei. Beim Katholischen Weltjugendtag in Krakau sagte Papst Franziskus: "Wir müssen bereit sein, die vor Krieg und Hunger Flüchtenden aufzunehmen."
Vona: Ich bin Katholik, aber mit seinem Standpunkt in dieser Frage bin ich nicht einverstanden. Die soziale Sensibilität von Papst Franziskus ist zu begrüßen. Die europäischen Themen im politischen Sinne betrachtet er aber nicht richtig. Entweder sind seine Ratgeber schlecht, oder er versteht Europa nicht. Das ist nicht eine rein humanitäre Frage.
STANDARD: Ungarns Regierungschef vertritt die konträre Meinung.
Vona: Vor eineinhalb Jahren flüchtete sich Viktor Orbán in die Flüchtlingspolitik. Eine Reihe von Nachwahlen verlor Fidesz im Frühling vergangenen Jahres, ihre Popularitätswerte begannen stark zu sinken. Dann kam die Flüchtlingskrise, angesichts derer die Regierung ihre innenpolitische Stabilität gerettet hat. Die Beliebtheit der Regierung hält nur, weil die Menschen vor Migration Angst haben.
STANDARD: Im Oktober findet in Ungarn das Referendum über die EU-Flüchtlingsquoten statt. Befürworten Sie die Aufnahme von Flüchtlingen?
Vona: Ich bin nicht dafür und werde mit Nein abstimmen.
STANDARD: Warum wäre die Aufnahme von ein paar tausend Flüchtlingen problematisch?
Vona: Hier geht es um etwas anderes. Wer garantiert uns, dass wenn wir fünftausend Personen aufnehmen, nicht weitere fünftausend dazukommen? Die Frage ist, ob wir die Tür öffnen. Einen Spaltbreit können wir sie nicht öffnen. Wenn wir das tun, öffnet sich die Tür komplett.
STANDARD: Dann ist das eine rein rechnerische Angelegenheit.
Vona: Genau das ist es nicht. Es ist der erste Schritt eines Prozesses. Mehrere zehn- oder hunderttausend Personen aus ganz anderen Kulturkreisen könnte die ungarische Gesellschaft nicht integrieren. Wir sollten uns lieber damit beschäftigen, wie wir die ungarischen Roma aus der extremen Armut holen und sie zu einem bürgerlichen Leben erziehen.
STANDARD: Bei einem Türkei-Aufenthalt erklärten Sie, dass der "Islam die letzte Hoffnung der Menschheit" sei.
Vona: In der Türkei war mir sympathisch, wie wichtig die eigenen religiösen und kulturellen Wurzeln fürs Land sind. In Europa ist das ausgestorben. Ich würde mich freuen, wenn die christlichen Kirchen in Ungarn die aus der Religion stammenden menschlichen, kulturellen und sozialen Werte in der Gesellschaft viel mehr sichtbar machen könnten, so wie das der Islam daheim tut.
STANDARD: Welche Bedeutung hat der Islam für Sie?
Vona: Der Islam ist eine Religion, die ihre Position gegenüber der Globalisierung und dem alles dominierenden Liberalismus schützt. Der Islam bedeutet für mich viel mehr Gül Baba und die Poesie von Rumi als ein paar Selbstmordattentäter. Es ist wichtig, dass der Islam und die christliche Kultur nebeneinander in Frieden leben. Miteinander geht es Erfahrungen zufolge nicht.
STANDARD: Gibt es kein friedliches Nebeneinander zwischen den beiden Religionen?
Vona: Dieses Nebeneinander ist brüchig wie Porzellan. Deswegen würde ich Europa davor warnen, damit zu übertreiben.
STANDARD: Im außenpolitischen Programm der Jobbik wird Russland eine besondere Bedeutung zugeteilt.
Vona: Unser außenpolitisches Konzept basiert darauf, dass sich Ungarn inmitten eines historischen Dreiecks befindet, dessen drei Spitzen Deutschland, Russland und die Türkei sind. Mit allen drei Staaten müssen wir ein unsere Souveränität bewahrendes, friedliches Verhältnis führen. Zum Dreieck kommen noch die USA, mit denen wir uns um bestmögliche Beziehungen bemühen müssen.
STANDARD: Was denken Sie über Wladimir Putin?
Vona: Es ist kein Zufall, dass er Russlands Präsident ist. Sein Land hat er auf die Bühne der internationalen Politik zurückgeholt. Aus einem Staat, der sein Ansehen verloren hat, hat er eine angesehene Kraft gemacht. Bestimmt hat es einen Grund, wenn er vom Volk erneut und erneut gewählt wird. Ich bin nicht mit allen seinen Schritten einverstanden, jedoch glaube ich, dass er ein guter Führer Russlands und des russischen Volkes ist. STANDARD: Es heißt Jobbik hätte ähnlich wie der Front National in Frankreich russische Gelder bekommen.
Vona: Niemals haben wir von ausländischen Staaten finanzielle Unterstützung erhalten, und das wollen wir auch nicht. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis wäre eine große Last.
STANDARD: Gerüchte gab es auch schon über eine iranische Finanzierung.
Vona: Lächerlich. In der letzten Zeit spreche ich immer mehr über die EU und die USA. Ich bin gespannt, wann es aufgegriffen wird, dass uns die Amerikaner finanzieren.
STANDARD: Mehrere von Jobbik geführte Gemeinden haben in den vergangenen Jahren Gemeindepartnerschaften mit iranischen Ortschaften etabliert.
Vona: Wir dürfen den Iran nicht wegen der Politik der letzten paar Jahre beurteilen. Die persische Kultur ist uralt, das Land stark und stabil. Ich bin sehr froh, dass eine internationale Konsolidierung stattfindet und dass zwischen den USA und dem Iran ein Versöhnungsprozess im Gange ist.
STANDARD: Apropos. Regierungschef Orbán unterstützt ganz offen die Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump. Wen würden Sie lieber im Weißen Haus sehen: Clinton oder Trump?
Vona: Ich passe bei dieser Frage. Ich bin der Meinung, dass Viktor Orbán verantwortungslos vorgegangen ist, als er in dieser Sache Partei ergriffen hat. Falls Clinton gewinnt, wird sich ihr Stab daran erinnern, dass sich Viktor Orbán als erster Regierungschef weltweit hinter ihren Gegner gestellt hat. Er hat dem Land damit nicht unbedingt etwas Gutes getan.
STANDARD: Geben Sie Ihre Privatmeinung bekannt?
Vona: Erst in meinen Memoiren. (DER STANDARD, 30.8.2016)
Gábor Vona (38) ist Gründer und Parteivorsitzender der rechtsradikalen Jobbik Magyarországért Mozgalom (Bewegung für ein besseres Ungarn), die 20,69 Prozent der Stimmen bei der Parlamentswahl 2014 erhalten hat. Jobbik ist mit 24 Abgeordneten im ungarischen Parlament und drei Abgeordneten im Europaparlament vertreten. Vona studierte Geschichte und Psychologie an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Seit 2010 ist er Parlamentsabgeordneter.
Unter der Führung von Jobbik wurde 2007 die paramilitärische Ungarischen Garde gegründet, um "gegen Zigeunerkriminalität" aufzutreten. Nach dem Verbot 2009 trat die Organisation immer wieder unter neuen Namen in der Öffentlichkeit auf.
(Foto: Balazs Csekö)