Das Geschäft mit den Rettungswesten

Das Geschäft mit den Rettungswesten
Im türkischen Izmir werden Rettungswesten von mangelhafter Qualität für die Überfahrt nach Griechenland verkauft.


Hupende Autos, Menschen, die auf Terrassen Kebab essen, junge Burschen, die hektisch zwischen den Fahrzeugen über die Straße laufen: Das ist der Fevzi Paşa Bulvarı, eine Einkaufsstraße im Herzen von Izmir. Sie führt vom Beyman-Konak-Pier zum Basmane-Bahnhof. Südlich davon befindet sich der Yeni-Kavaflar-Basar, der berühmte Markt in der Altstadt von Izmir mit seinen hunderten kleinen Geschäften und den zahlreichen Kahve-Häusern. Zwischen dem Fevzi-Paşa-Boulevard und dem Gazi Bulvari liegt der Çankaya Iletişim Teknolojileri Çarşısı, der Kommunikationstechnologie-Markt Izmirs. Wer den Fevzi Paşa Bulvarı da noch nicht verlassen hat und bis zum Basmane Gar weitergeht, kommt an zahlreichen Bekleidungsgeschäften vorbei. Seit einigen Monaten sieht das Textilviertel verändert aus.

Vor den Geschäften stehen die üblichen Modepuppen und tragen statt der neuesten Jackenkollektion orangefarbene Schwimmwesten. Die Händler haben sich aber schon der Nachfrage am Markt angepasst und ihre Angebotspalette erweitert.

Gefälschte Westen

"75 Lira kostet die Rettungsweste", sagt die langhaarige Verkäuferin und zeigt auf die von dem türkischen Hersteller Martek produzierte Ware. "Die sind nicht gefälscht", fügt sie hinzu. Eine Anspielung auf die tragischen Ereignisse, bei denen gefälschte Westen in den letzten Wochen zum Tod zahlreicher Flüchtlinge geführt haben. Die Verkäufer wissen, dass sie jederzeit von der türkischen Polizei kontrolliert werden können.

Nach der jüngsten Entdeckung illegaler Fabriken hat die türkische Exekutive den Fälschern den Kampf angesagt. In inoffiziellen Produktionsstätten wurden massenweise Schwimmwesten hergestellt, die die notwendigen Sicherheitsstandards nicht erfüllten; gefüllt wurden sie mit Schwämmen und Lumpen.

"Um die Echtheit der Schwimmwesten zu überprüfen, muss man sie zuerst zerreißen. Nur so lässt sich die Qualität dieser Produkte verifizieren", erklärt Paolo, ein Mitarbeiter von Frontex. "Das haben wir mehrmals gemacht und festgestellt, dass viele gefälschte Westen in Umlauf waren." Häufig versuchen Fälscher mit dem Logo bekannter Unternehmen einen Gewinn zu erzielen. "Viele Yamaha-Westen waren auf dem Markt, die große Mehrheit davon war aber gefälscht. Sie waren nicht in der Lage, die Personen an der Wasseroberfläche zu halten", sagt er. "So, wie sie gebaut waren, haben sie das Wasser aufgesaugt und so die Träger unters Wasser gezogen."

Keine Yamaha-Westen mehr

Fragt man nach Yamaha-Westen, so sagen die Verkäufer, dass es diese in der Türkei nicht mehr gebe, da alle hier erhältlichen Rettungswesten dieser Marke gefälscht seien. Einige Kilometer weiter westlich, an der Küste von Lesbos, findet man aber nach wie vor zahlreiche Yamaha-Westen, die die Flüchtenden dort nach ihrer Überfahrt ausgezogen haben.

Aber nicht nur Rettungswesten, auch normale Schwimmwesten und sogar nur Schwimmlernhilfen findet man an den Küsten griechischer Inseln. "Grundsätzlich gibt es drei Kategorien von Westen für das Wasser. Schwimmlernhilfen sind für Kinder gedacht, um das Schwimmen zu lernen. Schwimmwesten helfen in ruhigen Gewässern, wo Hilfe schnell zur Stelle ist. Sie sind jedoch nicht ohnmachtsicher. Sprich, wenn jemand beim Sturz aus einem Boot ohnmächtig wird, treibt womöglich sein Kopf nach unten im Wasser. Und die dritte Kategorie sind die richtigen Rettungswesten, die je nach Unterkategorie eingeschränkt oder vollständig ohnmachtsicher sind", erklärt Wolfgang Grabner, einer der größten europäischen Hersteller von Rettungswesten.

Grabner ist Mitglied des Europäischen Normungsausschusses und verantwortlich für die Etablierung zahlreicher europäischer Sicherheitsstandards für nautische Sicherheitsartikel. Er fügt an: "Üblicherweise sollten beim Verkaufsgespräch die unterschiedlichen Kategorien besprochen und mit dem Kunden die Vor- und Nachteile für das gewünschte Einsatzgebiet erörtert werden."

Verkaufsstrategie: Haltbarkeit der Lichter

In Izmir ist dafür jedoch keine Zeit, die Verkaufsstrategie ist da eine andere. Statt eines richtigen Aufklärungsgesprächs werden die Unterschiede der Westen nur nach der maximalen Lebensdauer der an den Westen angebrachten Lichter erklärt. "Bei dieser Weste hält das Licht vier bis fünf Tage und ist deswegen auch teurer. Sie kostet 125 Lira", sagt Ali, ein Verkäufer auf dem Fevzi Paşa Bulvarı, und zeigt auf die brasilianische Marke Cosalt Premier. "Die hier hält knapp 100 Stunden und kostet 75 Lira." Diesmal nimmt er eine Weste des türkischen Herstellers Martek in die Hand. Flüchtlinge auf Lesbos erzählen, dass ihnen ebenfalls nur gesagt wurde, wie lange das Licht der Weste hält.

Für Frontex-Mitarbeiter Paolo sind diese Kategorien aber unwesentlich, da ein Mensch im knapp 15 Grad kalten Wasser sowieso nicht so lang überleben kann. "Die Überlebenszeit variiert stark nach körperlichen und äußeren Faktoren. Wenn eine Person schon auf dem Boot unterkühlt und durchnässt ist und dann ins Wasser fällt, kann diese bei der derzeitigen Wassertemperatur vielleicht 30 Minuten oder eine Stunde überleben."

Mangelhafte Lichter

Um das Ganze noch absurder zu machen, steht in diesem Shop auf einigen Rettungswesten des brasilianischen Herstellers eine Warnung: "Luz vencida, solo entrenamiento" (Licht abgelaufen, nur für Training geeignet). Auf die Frage, was auf der Weste zu lesen ist, kann der Verkäufer nicht antworten, er bezeichnet sie als "einwandfreie Originale".

Funktionierende Lichter an den Westen sind für die Helfer auf der griechischen Seite enorm wichtig. "Vor allem in der Nacht spielen die Lichter eine große Rolle. Wenn sie in Kontakt mit Salzwasser treten, schalten sie sich automatisch ein und leuchten stundenlang einige Kilometer weit. So ermöglichen sie uns die Rettung der über Bord gefallenen Flüchtlinge", erklärt Giorgos, ein griechischer Flüchtlingsaktivist. Er berichtet auch darüber, dass die Lichter häufig nicht funktionieren und es vom Zufall abhängt, ob im Wasser treibende Personen entdeckt werden. stajic

Profitables Geschäft

Der wirtschaftliche Erfolg hat dazu geführt, dass einige der Läden am Fevzi Paşa Bulvarı ganze Lagerräume ausschließlich für Schwimmwesten bereitstellen. "Für unser Geschäft ist die derzeitige Situation hilfreich", sagt ein Ladenbesitzer in Basmane. Die Verkäufer rechnen mit einer anhaltenden Nachfrage in der nächsten Zeit.

Für die griechische Küstenwache steht eine ganz andere Frage im Mittelpunkt. Sie fordert eine strengere Kontrolle der in der Westtürkei angebotenen Produkte. "Ob die Sicherheitsstandards der Westen in der Zukunft erhöht werden, hängt wesentlich davon ab, wie genau die türkischen Behörden die Geschäfte überprüfen", sagt ein Mitarbeiter der griechischen Küstenwache. Tragödien der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen. "Wir hoffen, dass wir keine toten Flüchtlinge mehr mit mangelhaften Westen aus dem Wasser holen müssen." ("Der Standard", 18.2. 2016 - mit Siniša Puktalović)

Foto: Balazs Csekö