Flucht über das Mittelmeer: 1.000 Euro für eine lebensgefährliche Überfahrt

Flucht über das Mittelmeer: 1.000 Euro für eine lebensgefährliche Überfahrt
Täglich landen überladene Schlauchboote an der Küste der griechischen Insel Lesbos. Auf die Überlebenden warten trockene Kleidung und warmer Tee.

 

Lesbos – Die Küsten vieler griechischer Inseln liegen sehr nah an der Türkei. Es kommt einem so vor, als wären sie nur einen Steinwurf entfernt, als wäre eine Überfahrt mit einem Boot keine schwere Aufgabe. "Sogar bei Schlechtwetter ist die Küste von Lesbos von der Türkei aus zu sehen. Bei Schönwetter hat man den Eindruck, als könnte man von der Türkei nach Griechenland schwimmen", sagt Andreas, ein freiwilliger Flüchtlingshelfer aus Deutschland, der auf der Insel Lesbos täglich an der südlichen Ostküste mit zahlreichen Helfern auf ankommende Flüchtlinge wartet.

Die Überquerung birgt jedoch viele Risiken. In Wintertagen, wenn meterhohe Wellen für unruhiges Gewässer sorgen und sogar für viele Fähren die Überfahrt an manchen Tagen zu riskant ist, ist der Verkehr mit Schlauchbooten lebensgefährlich. Trotzdem setzten sich tausende Flüchtlinge beinahe jeden Tag dieser Gefahr aus.

„Folgt den Lichtern"
"Die Schlepper klären die Flüchtlinge nicht über die Gefahren auf, sie kassieren bloß viel Geld und überlassen sie ihrem Glück", sagt Andreas. Die Flüchtlinge auf der türkischen Seite zahlen den Schleppern horrende Summen, um auf die griechische Seite zu gelangen. "Ich hatte Glück, um 300 Euro habe ich einen Platz im Boot bekommen", erzählt Hassan. Der Pakistaner kam im Schlauchboot mit weiteren 14 Personen von Ayvalik nach Lesbos. Weniger glücklich war der iranische Callcenter-Mitarbeiter Mahmood, der für dieselbe zehn Kilometer lange Strecke 1.000 Euro ausgab. "Folgt einfach den Lichtern, haben die Schlepper uns gesagt": Diesen Satz hört man von den Flüchtlingen, egal auf welcher griechischen Insel sie angekommen sind, ständig.

Die meisten Wasserfahrzeuge, die von Schleusern auf den Weg gesetzt werden, sind Gummiboote mit einer Kapazität von zehn bis 15 Personen. Nur in seltenen Fällen finden die Volontäre aber Boote vor, die tatsächlich mit der vorgesehenen Auslastung in Lesbos ankommen. "Meistens sind zwischen 30 und 40 Personen auf so einem kleinen Boot, wir haben aber auch schon über 60 Personen gezählt", sagt Andreas. Gelegentlich kommt es zu Fahrten mit kleineren Schiffen, die ebenso oft überladen sind und zwischen 150 und 200 Personen transportieren.

Gesäuberte Küsten

"Bei solchen Bedingungen reicht eine kleine Welle aus, um die Insassen regelrecht aus dem Boot zu katapultieren, da viele der Flüchtlinge keinen richtigen Halt aufgrund der Überladung finden können", sagt Andreas. Aufgrund des schlechten Wetters und der überladenen Boote kommt es immer wieder zu tödlichen Unfällen. Allein in den vergangenen Wochen sind dutzende Personen vor der Küste von Lesbos ertrunken.

Diejenigen, die es über das Ägäische Meer schaffen, entledigen sich sofort ihrer nassen Kleider. Egal ob es Tag oder Nacht ist, in den meisten Fällen werden sie von freiwilligen Helfern erwartet, die ihnen frische Kleider und heißen Tee anbieten. Die Rettungswesten und Schlauchboote werden, sofern das Wetter es erlaubt, auf einen Haufen geworfen. Holz- und Kunststoffboote werden an die Küste gezogen oder an dem Platz belassen, an dem sie angeschwemmt wurden. Von Zeit zu Zeit werden die Küsten gesäubert. Das passiert zumeist alle paar Wochen. Dazwischen ist die Nord- und Ostküste von Lesbos zwischen Molivos und dem südlichsten Punkt der Ostküste nahe Agrilia Kratigou übersät mit den "Requisiten der Flucht”.

Orange ist positiv
Die Farbe Orange dominiert entlang der Inselküste. Die durch die Schutzwesten orange gefärbten Strände erfreuen Frontex-Pressesprecherin Ewa Moncure. "Orangefarbene Küsten sind immer ein positives Zeichen. Das heißt, dass die Flüchtlinge die Fahrt überlebt haben", sagt sie. Je besser die Wetterverhältnisse werden, desto bunter werden Griechenlands Strände. "Letzten Sommer waren noch viel mehr Westen und Boote zu sehen, in diesem Sommer erwarten wir Ähnliches", sagt Andreas. ("Der Standard", 16.2. 2016 - mit Siniša Puktalović)

Foto: Balazs Csekö