Kos – "Wenn das Flüchtlingslager geöffnet wird, kommen keine Touristen mehr her", sagt Pedros, der sich mit seiner Frau und den drei Söhnen entlang der Straßenpromenade zur Demonstration beeilt. Der 37-jährige Hotelmitarbeiter nimmt große Schritte, weil er keine Sekunde der Versammlung vor dem Rathaus verpassen möchte. Es gehe um die Zukunft der Stadt und der Insel, sagt er.
Am Ende der Straße blockiert ein Polizeiwagen den Verkehr, Pedros salutiert höflich. "Diesmal werden wir friedlich demonstrieren", sagt er. Bei der letzten Demonstration am vergangenen Sonntag ist einiges schief gelaufen. Autoreifen wurden angezündet, es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. "Mich haben sie am Kopf mit dem Knüppel erwischt", sagt der bärtige Grieche, nimmt seine Haube runter und zeigt auf die Wunde auf seinem Kopf.
"Nein zum Hotspot"
Das Rednerpult steht auf der Treppe des Rathauses. Davor hören etwa 800 Demonstranten aller Altersgruppen zu. Einige verfolgen die Ansprachen von Booten aus. Manche scheinen eher wegen des Spektakels gekommen zu sein. Die meisten von ihnen sind Einwohner der Gemeinde Kos.
Eine blau-weiße griechische Flagge schwebt über der Menge, auf Bannern steht "Nein zum Hotspot" zu lesen. Bürgermeister Giorgos Kiritsis, ein bekannter Kritiker der EU-Flüchtlingspolitik, eröffnet die Versammlung. "Wir fordern die Regierung auf, ihre Pläne bezüglich des Hotspots zu ändern", ruft er ins Mikrofon. Die meisten Anwesenden klatschen, andere zeigen offen ihren Unmut.
"Ich bin arm geboren, habe mir alles selbst aufgebaut und besitze jetzt ein Restaurant. Wenn die Flüchtlinge aber weiterhin zu uns kommen, dann bleiben die Touristen aus", formuliert der 54-jährige Restaurantbesitzer Nigidas die allgemeine Angst unter den Einwohnern von Kos. Seit Monaten erreichen hunderte Flüchtlinge Kos von der nur fünf Kilometer liegenden türkischen Küste aus. Auf der Insel, über die ein Teil der Westbalkanroute der aktuellen Flüchtlingswelle läuft, ist Tourismus die Haupteinnahmequelle. Durch die Errichtung des von der griechischen Regierung und der Europäischen Union geplanten Flüchtlingshotspots befürchten die Einwohner sinkende Einnahmen.
"Nur eine kleine Explosion"
Am Montag erschütterte eine gewaltige Explosion die Insel. Unbekannte haben in der Nähe des Flüchtlingslagers hinter der Polizeistation explosives Material hochgehen lassen. "Es war eine Warnung. Flüchtlingsgegner werden immer radikaler", behauptet ein belgischer Flüchtlingsaktivist. Auf die Frage nach der Explosion beschwichtigt Vizebürgermeister David Gerasklis: "Die Menschen auf Kos sind friedlich. Das war nur eine kleine Explosion. Das ganze wird medial aufgebauscht."
Viele der Einwohner fragen sich, warum die Regierung nicht die vier Kilometer weiter nördlich liegende unbewohnte Insel Pserimos zum Flüchtlingshotspot macht. "Da würden sie niemanden stören. Wir hätten nichts dagegen, dass der Hotspot dort errichtet wird", sagt Pedros.
Die griechische Regierung bleibt aber hartnäckig. An der Finalisierung des im Bau befindlichen Hotspots wird weiterhin gearbeitet. Die Spannungen auf der Insel könnten dadurch zunehmen, befürchtet der Flüchtlingshelfer. "Es gab im letzten Jahr einige Übergriffe auf Flüchtlinge. Wenn die Situation weiterhin so angespannt bleibt, könnte es wieder dazu kommen."
Referendum ohne Konsequenzen
Die Demonstration bleibt an diesem Tag friedlich. Die Gemeinde Kos wird demnächst ein Referendum über den Bau des Hotspots auf der Insel abhalten. Rechtsgültigkeit hätte das Ergebnis nicht. "Für uns geht es darum, die Stimmung in der Bevölkerung zu erfragen", so der Vizebürgermeister. Pedros und die anderen Demonstranten haben vor, so lange auf die Straße zu gehen, bis die Regierung ihre Pläne ändert. („Der Standard”, 11.2.2016 - mit Siniša Puktalović)
Foto: Balazs Csekö