Orbáns Finte mit „Terrornotstand“

Orbáns Finte mit „Terrornotstand“
Mittels Verfassungsreform will die Regierung in Ungarn bei Terrorgefahr „spezielle Maßnahmen“ ergreifen können.

 

„Kein Mensch besitzt so viel Festigkeit, dass man ihm die absolute Macht zubilligen könnte“, behauptete Albert Camus. Ungeachtet des weisen Spruches des französischen Philosophen steht das Parlament in Budapest davor, Ungarns Premier die absolute Macht zuzusprechen. Bei „Terrorgefahr“ könnte der Regierungschef in wenigen Wochen den „Terrornotstand“ per Dekret ausrufen und „spezielle Maßnahmen“ ergreifen.

Der Regierungsvorschlag kommt aus heiterem Himmel. Zwischen fünf Kategorien besonderer Rechtsordnung unterscheidet bereits das von der Orbán-Regierung im Jahr 2011 verfasste Grundgesetz. Die höchste Kategorie, der Ausnahmezustand, garantiert der Exekutive mehr Kompetenzen als der geplante Terrornotstand. Darum scheint eine Verfassungsreform überflüssig.

Die wahre Stärke des jetzigen Entwurfes liegt jedoch im Wortlaut der Verfassungsänderung. Er liefert keine Antwort darauf, ab welchem Punkt über „Terrorgefahr“ gesprochen werden kann. Ab wann ist der Rubikon überschritten? Wird der Terrornotstand nur bei Anschlägen im Inland ausgerufen, oder reicht es, wenn Demonstranten das Parlament mit Eiern bewerfen? Die unklare Definition verleiht der Regierung auf jeden Fall breiten Interpretationsraum.

Effektive Kontrolle fehlt

Laut Entwurf könnten bald Presse-, Meinungs-, und Reisefreiheit ungarischer Staatsbürger beschränkt, Grenzen dicht gemacht, Internet und Telefonleitungen abgeschaltet, Vermögen von Personen und Unternehmen eingefroren, Ausländern die Einreise nach Ungarn verboten werden. Beim Inkrafttreten des Terrornotstandes könnten in Radio- und TV-Sendungen ausschließlich Regierungserklärungen erklingen. Halt jederzeit, wenn die Exekutive ein „Terrorgefahr“ sieht. Je nach Lust und Laune.

Eine Kontrolle der Exekutive durch Parlament und Staatspräsident ist zwar beim Terrornotstand vorgesehen, die Gewaltenteilung funktioniert jedoch in Ungarn seit Jahren nicht mehr wirklich. Parlamentsmehrheit und Staatspräsident agieren auf Pfiff aus dem Premierministeramt. Eine effektive Kontrolle ist daher im Inland ausgeschlossen. Diese Rolle sollten EU, Europarat und Nato übernehmen.

Politisch instrumentalisiert

Besorgniserregend wirkt die Verfassungsnovelle vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass die ungarische Regierung seit Monaten eine Anti-Flüchtlingskampagne finanziert. Nach seiner argwöhnischen Behauptung „man weiß nicht, von wo sie kommen, wer sie sind und was sie wollen“ ist Ministerpräsident Viktor Orbán schnell zur Schlussfolgerung gekommen, dass „praktisch alle Terroristen Migranten sind“. Das is bloß einen Schritt weg von der Aussage, die sich viele seiner Wähler wünschen würden.

Die „verbindlichen Besiedlungsquoten“ lehnt die ungarische Exekutive hauptsächlich ab, weil diese „die Terrorgefahr erhöhen würden“. Wäre so die Ausrufung des Terrornotstandes mit der Verpflichtung Ungarns, Flüchtlinge aus der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen, zu rechtfertigen?

Tatsache ist jedenfalls, dass die Flüchtlingskrise von der Orbán-Regierung für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert wird. Für eine Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament vorgesehen. Obwohl die Regierungspartei Fidesz seit 2015 über zwei Stimmen weniger als die Verfassungsmehrheit verfügt, könnte der Entwurf noch immer die Unterstützung von Abgeordneten der rechtsradikalen Partei Jobbik bekommen. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Weisheit Albert Camus' in Budapest doch noch Gehör findet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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