Manövriert sich Orbán in eine Sackgasse?

Manövriert sich Orbán in eine Sackgasse?
Beim geplanten Referendum in Ungarn könnte der Schuss nach hinten losgehen.

 

"Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verbindliche Ansiedlung von nichtungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?" Just einen Tag nach den tragischen Vorfällen vor dem Nationalen Wahlbüro in Budapest, wo eine Gruppe von Skinheads den Oppositionspolitiker István Nyakó von der Sozialistischen Partei (MSZP) physisch daran gehindert hatte, rechtzeitig einen Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens bezüglich der Sonntagsöffnung einzureichen, kündigte Ungarns Premier Viktor Orbán mit dieser Frage ein Referendum über die EU-Flüchtlingsquote an. Der Schritt ist zwar zynisch, die Volksabstimmung wird aber nicht wie erwartet zu einem einfachen Galopprennen der Regierung.

Signal an die Bevölkerung und an Brüssel

Die von Orbán überraschend angekündigte Volksabstimmung ist ein Signal in verschiedene Richtungen. Erstens soll den ungarischen Bürgern das Gefühl gegeben werden, dass sie über wichtige Themen des Landes zu entscheiden haben. Der Regierung wurde mehrmals in der jüngeren Vergangenheit vorgeworfen, dass sie die Instrumente der direkten Demokratie geringschätze. Tatsächlich wurden seit der Machtübernahme der Fidesz im Jahr 2010 keine Volksabstimmungen mehr ausgeschrieben und Volksbegehren jedes Mal blockiert.

Nach dem gewaltsamen Auftritt der Fidesz-nahen Gruppe von Glatzköpfen gegen den MSZP-Abgeordneten ist die Situation für die Regierungspartei rasch unangenehm geworden. Mit der Einberufung des Referendums will die Regierung offenbar auf die Kritik breiter gesellschaftlicher Gruppen reagieren.

Das Referendum ist ebenso ein Signal an Brüssel. Die Herausforderung der EU in der Flüchtlingsfrage gehört seit einem Jahr zum Raison d’être der ungarischen Exekutive. Durch eine Anti-Flüchtlinge-Kampagne war es Orbáns Regierung möglich, ihre Popularitätswerte aus dem Keller zu holen. Mit der Volksabstimmung will der Premier auf EU-Ebene im Flüchtlingsstreit die Kluft zwischen den "Willigen" und den "Unwilligen" vergrößern und zugleich seine Position in Europa stärken. Nicht zuletzt erhofft er sich davon auch weitere Alleingänge anderer nationaler Regierungen.

Jedoch könnte das Referendum für den ungarischen Premier nach hinten losgehen. Zwar steht es außer Frage, dass die überwiegende Mehrheit der Ungarn gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ist, doch viele Wähler sind mit der Regierung unzufrieden und frustriert.

Referendum könnte Ungarns Regierung in Gefahr bringen

Seit Wochen protestieren Lehrer und Schüler landesweit gemeinsam gegen eine Zentralisierung des ungarischen Bildungswesens. Zehntausende posieren mittlerweile auf Fotos in Social-Media-Beiträgen in zum Symbol der Demonstrationen gewordenen karierten Hemden. Das Ende der Proteste ist noch lange nicht in Sicht, täglich schließen sich neue Institutionen den Forderungen der Initiatoren an. Die Empörungswelle ähnelt der riesigen Indignation gegen die geplante Internetsteuer im Herbst 2014.

Sollte es also der Opposition gelingen, die geplante Referendumsfrage umzuinterpretieren und die Volksabstimmung in eine Art Abstimmung über die Regierung umzuwandeln, könnte der Ausgang des Referendums bis zum Wahlresultat offen bleiben. "Soll Ungarn ein paar tausend Flüchtlinge aufnehmen, oder soll man die Regierung weiterhin jahrelang im Amt lassen?", könnte die entscheidende Frage lauten. Auch wenn die Gültigkeitsgrenze des Referendums mit einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent und einer Stimme hochgeschraubt ist, könnte dennoch ein leichtfertiger Regierungsbeschluss Orbáns Regierung ins Wanken bringen. Beim geplanten Referendum steht genau das zur Wahl.

("Wiener Zeitung", Print-Ausgabe, 26.01.2016)

Foto: AFP/Kisbenedek